mit Harald Baumann-Hasske und Juliane Pfeil im Schottischen Parlament

 

Eine Delegation des Petitionsausschusses des Sächsischen Landtages hat Anfang April London und Edinburgh besucht und dabei einen Einblick in das Petitionswesen des Vereinigten Königreichs (VK) erhalten. Viele Anregungen wurden auf dem Rückweg im Gepäck der SPD-Abgeordneten Jörg Vieweg, Juliane Pfeil-Zabel und Harald Baumann-Hasske verstaut und mit nach Sachsen genommen.

Nur eine Woche zuvor schickte Premierministerin Theresa May einen Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk und reichte damit offiziell den Brexit ein – den geplanten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Es überrascht wenig, dass bei den zahlreichen Treffen auch dieses Thema wiederholt aufgegriffen wurde und auf großes Interesse bei den sächsischen Besuchern stieß. Bei den diversen Referenden und Konfliktlinien den Überblick zu behalten, ist für Kontinentaleuropäer gar nicht so einfach: Während der englische Landesteil des Königreichs den Austritt befürwortet, lehnt die Hauptstadt London und die Mehrheit der schottischen Bevölkerung diesen ab.

Insgesamt hat sich die Delegation an sechs verschiedenen Stellen ein ganz konkretes Bild vor Ort gemacht. Auffällig dabei ist der Stellenwert, der den Petitionen unisono beigemessen wurde. Jim O’Neill vom Scottish Prison Service hat in seiner Organisation gar einen Kulturwandel ausgemacht und mit den Worten zusammengefasst: „Petitionen müssen als etwas Gutes und Positives betrachtet werden.“ Neben dem Beschwerdesystem im Strafvollzug (Scottish Prison Service) standen Petitionen auf kommunaler Ebene (Stadt Edinburgh), auf Ebene des schottischen Landesteils (Parlament in Edinburgh) und der Zentralregierung (britisches Unterhaus) in London auf dem Programm. Spezifischer wurde es bei der Scottish Legal Complaints Commission zum Thema Beschwerden gegen Rechtsberufe und beim Parliamentary and Health Serive Ombudsman. Diese Stelle geht insbesondere Beschwerden nach, die das nationale Gesundheitssystem (NHS) betreffen. Darüber hinaus wurden auch politische Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Deutschen Botschaft und des Generalkonsulats sowie Wissenschaftlern der University of Edinburgh geführt.

Ombudswesen

Ausschssvorsitzende Kerstin Lauterbach mit Philipp Mende, Senior Policy & Insight Officer beim PHS Ombudsman

Die Institution des Ombudsmanns ist die offizielle Schlichtungsstelle in Großbritannien und am ehesten mit dem Wirken eines Petitionsausschusses in deutschen Landtagen und dem Bundestag vergleichbar. Die Ombudsstellen (Bürgerbeauftragten) gibt es beispielsweise für Finanzen, Kommunales, Gesundheit, aber auch für den Fußball. Beim Ombudsmann für das Gesundheitswesen Großbritanniens (Parliamentary and Health Service Ombudsmann) sind 430 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Diese untersuchen jährlich etwa 28.000 Beschwerden im britischen Gesundheitsweisen. Der Behördenleiter (Ombudsmann) verfügt über ein hohes landesweites Ansehen und wird für fünf Jahre im Konsens gewählt. Die Beschwerdebehörde ist dabei direkt dem britischen Parlament unterstellt und verfügt über weitreichende Kompetenzen bei der Untersuchung von Beschwerden. So können beispielsweise eigene Gutachten in Auftrag geben werden, um Entscheidungsprozesse aller beteiligten Behörden zu untersuchen. Darüber hinaus kann der Ombudsmann Gerichte anrufen, um Einzelfall- aber auch Grundsatzentscheidungen zu treffen. Sein Handeln hat letztlich direkte Auswirkung auf Entscheidungen des britischen Parlaments. Am Ende des Prozesses kann eine Gesetzesänderung des House of Commons stehen. In vielen Fällen führt sie zu aber zumindest zur Änderung von Verwaltungsentscheidungen und damit zu konkreten Lösungen für Einzelne oder ganze Gruppen von Betroffenen.

Die Einrichtung dieser Schiedsbehörde geht auf den Maladministration Act oder auch Ombudsman Act aus dem Jahr 1980 zurück. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Beschwerden und Petitionen etwas Gutes sind, da sie Gesetzeslücken offenbaren und damit wie Seismographen für aktuelle Gerechtigkeitsfragen wirken. Der Ombudsmann soll sicherstellen, dass Beschwerden von Politik und Verwaltung wirklich ernst genommen werden.

Petitionswesen

Ein modernes, bürgernahes und transparentes Petitionswesen benötigt in erster Hinsicht einen einfachen Zugang zu den Beschwerdestellen. Mittels Online-Plattformen der verschiedenen Ebenen können Menschen, die in England und Schottland leben, ihre Beschwerden unbürokratisch an die jeweiligen Beschwerdestellen richten. Wie bereits beschrieben sind die Ombudsstellen in Großbritannien von zentraler Bedeutung und erster Ansprechpartner für verschiedene private und öffentliche Probleme. Auf der Ebene der Zentralregierung agiert ein Petitionsausschuss in Westminster, der ausschließlich Petitionen berät, die von nationaler Bedeutung sind. Um diese einzureichen, gibt es die Internetseite petition.parliament.uk. Darauf zu finden sind alle Petitionen, die ein zentrales nationales Thema betreffen, mindestens fünf Mitunterzeichner haben, einzigartig sind (ein Thema darf nicht zweimal vorgetragen werden), und formgerecht, nicht beleidigend oder lustig gemeint sind. Welche Petitionen vom Ausschuss behandelt werden, entscheidet dieser selbst. Die Online-Plattform bietet jedoch allen die Möglichkeit, Forderungen zu unterstützen, indem man offiziell mitunterzeichnet. Wird eine Petition von 10.000 Menschen unterzeichnet, so wird diese von der Regierung beantwortet, werden mindestens 100.000 Mitunterzeichner gefunden, wird die Petition im Parlament diskutiert. Durch dieses Verfahren ermöglicht man den Petenten, Unterstützer für ihr Vorhaben zu generieren. Die Bürgerinnen und Bürger können zu jederzeit einsehen, welche Beschwerden vorgetragen wurden.

Ein noch transparenteres Verfahren hat der Petitionsausschuss des schottischen Parlaments gewählt. Petenten – hierbei ist zu bemerken, dass es in Schottland keine Rolle spielt, ob man britischer Bürger ist oder überhaupt in Schottland lebt – müssen sich lediglich auf einer Plattform anmelden, auf der sie die Petition online stellen oder eine Petition mitunterzeichnen möchten. Jedoch werden nicht nur die Petition selbst veröffentlicht, sondern auch jeder weitere Bericht zu dieser Petition. Sowohl die Petenten als auch jeder Interessierte können Kommentare zu den Stellungnahmen hinterlassen. Diskutiert werden die Petitionen nicht allein im zuständigen Ausschuss, sondern können themenspezifisch in andere Fachausschüsse überwiesen werden. Alle Ausschusssitzungen im schottischen Parlament finden öffentlich statt und werden live übertragen. Nur in Ausnahmefällen wird nichtöffentlich getagt.

Ob eine Petition geschlossen wird, kann auch im Fachausschuss beschlossen werden. Grundsätzlich ist jedoch anzumerken, dass die Anzahl der zu beratenden Petitionen, sowohl in England, als auch in Schottland, überschaubar ist. Durch die weit ausgebaute Struktur der Ombudsstellen, die individuelle Fragen in den verschiedensten Lebensbereichen betreuen, werden in den Parlamenten ausschließlich Themen von nationaler Bedeutung behandelt.

Scottish Legal Complaints Commission (SLCC)

bei der Scottish Legal Complaints Commission

Die SLCC ist eine öffentliche Beschwerdestelle über Rechtsanwälte. Nachdem 1998 das schottische Parlament wieder eingeführt worden war, gab es alsbald ein starkes Bedürfnis in der Bevölkerung, Rechtsanwälte einer besonderen Kontrolle zu unterziehen. Denn es häuften sich Beschwerden, denen durch die Selbstverwaltungseinrichtungen (bar association) nicht (ausreichend) abgeholfen wurde oder werden konnte. Die SLCC bemüht sich um Vermittlung bei Streitigkeiten zwischen Anwalt und Mandant, wobei offensichtlich eine erhebliche Anzahl von Beschwerden darauf beruht, dass die Kommunikation nicht funktioniert. Die SLCC muss anwaltliches Handeln erklären, weil die Mandanten Zusammenhänge nicht verstehen oder ihren Anwälten nicht glauben. Ein wesentlicher Teil von mehr als 25 Prozent bezieht sich auf Immobiliengeschäfte, die nicht – wie bei uns in Sachsen – durch einen unabhängigen Notar geschlossen, sondern von beiden Seiten unter Anwälten ausgehandelt werden. Die neutrale Funktion des Notars, der darauf zu achten hat, dass keine Seite benachteiligt wird, fehlt. Das ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwälte mit hohen Streitwerten. Anwälte werden üblicherweise zugleich als Makler tätig (!). Kann die SLCC keine Einigung vermitteln, kann auch die Stelle eine Art Schiedsspruch fällen, gegen den der Rechtsweg zulässig ist. Der SLCC-Geschäftsführer stellte seine Tätigkeit recht lebendig dar und erklärte, er erhalte von Anwälten keine Weihnachtsgeschenke.

Scottish Prison Service (SPS)

Scottish Prison Service

Der SPS ist eine selbstständige Behörde, die für die Verwaltung der Strafanstalten in Schottland zuständig ist. Sie verwaltet etwa 7.500 Gefangene in ca. 20 Strafanstalten. Schottland hat 5,3 Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Sachsen hat bei 4 Millionen Einwohnern ca. 4.000 Strafgefangene in 10 Anstalten. Der SPS nahm seine Arbeit erst nach der erneuten Selbständigkeit Schottlands im Jahr 1998 auf. Damals war der Strafvollzug auf dem Status des 19. Jahrhunderts, geprägt von Gewalt, Gefangenenaufständen und einer nicht vorhandenen Kommunikation zwischen Vollzugsbeamten. Inzwischen gibt es ein Vertrauensverhältnis in den Anstalten, wenn es auch nach Neueröffnung der modernsten Anstalt im vergangenen Jahr 2016 noch einmal einen Aufstand gab.

Es gibt im Vollzug keine Drogenbehandlung. Das Übergangsmanagement beginnt durch Einbeziehung von Sozialarbeitern sechs Wochen vor Entlassung und Begleitung durch diese Personen für eine Frist weiterer sechs Wochen nach Entlassung. Diese Frist kann verlängert werden. Dadurch soll verhindert werden, dass die für die Resozialisierung so wichtige Zeit unmittelbar nach der Entlassung, in der Entlassene in der „normalen Welt“ Fuß fassen müssen, nicht durch Unkenntnis oder bürokratische Hürden wieder in die Krise und den kriminellen Rückfall führt.

Gegenstand des Besuchs war das Beschwerdesystem in den Anstalten. Es ist ausgeklügelt und recht weitgehend.

Jim O’Neill,
Senior Manager beim SPS

Bei einer Beschwerde, die gegenüber einem Vollzugbediensteten ausgesprochen wird, muss binnen 48 Stunden Abhilfe geschaffen oder eine befriedigende Antwort erteilt werden. Geschieht keine Abhilfe und wird die Beschwerde aufrechterhalten, wird ein schriftlicher Vorgang daraus. Befasst wird ein dreiköpfiges Gremium aus Anstaltsleitung und zwei Bediensteten, gegen dessen Entscheidung der Rechtsweg eröffnet ist. Eine Beteiligung einer Gefangenenvertretung am Verfahren scheint allerdings nicht vorgesehen zu sein. So etwas wie eine Gefangenengewerkschaft gibt es nicht. Wichtigster Beschwerdegegenstand ist die Unterbringung in Anstalten fern der Heimat, was die Besuche durch Freunde und Verwandte erschwert. Sie ist aber gelegentlich erforderlich, um persönlich verfeindete Gefangene nicht in einer Anstalt unterzubringen. Gewaltkriminalität im Vollzug kommt vor, ist aber zurückgegangen.
Wichtigster Verfahrensgegenstand sind Disziplinarstrafen, bei deren Verhängung ein gerichtliches Verfahren stattfindet, gegen dessen abschließende Entscheidung der Rechtsweg eröffnet ist.

Ausblick

Neben den Petetionsthemen wurde auch eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre diskutiert. Die empirischen Befunde aus Schottland sind durchaus vielversprechend: Beim Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands im Jahr 2014 war diese Gruppe abstimmungsberechtigt. Es zeigte sich, dass die Absenkung des Alters positive Effekte hatte: Die Wahrscheinlichkeit an der Abstimmung teilzunehmen stieg stark an, außerdem informierten sich Jugendliche aus Schottland deutlich intensiver als dieselbe Altersgruppe im Rest des Landes. Auch die politische Beteiligung ist stark angestiegen.

Doch zurück zum Petitionswesen: Zwar verfügt der Sächsische Landtag über ein modernes und transparentes Beschwerdesystem, trotzdem ist es ihm als Gesetzgeber und Verfassungsorgan möglich, auch das sächsische Petitionsrecht mit mehr Kompetenzen auszustatten und damit noch bürgerfreundlicher zu gestalten. Als Beispiel mit Verbesserungspotential können die Online-Verfahren genannt werden, die das hiesige Petitionswesen nicht nur transparenter, sondern auch effektiver machen könnten. Ein anderes Beispiel sind Mehrfachpetitionen: Durch die Möglichkeit eines Mitzeichnungsverfahrens ließen sich Mehrfachpetitionen vermeiden. Der Ausschuss könnte intensiver über generelle Sachverhalte diskutieren, anstatt manch einen Sachverhalt in mehreren Sitzungen wiederholt zu beschließen.

„Das Vereinigte Königreich betreibt seit Anfang der 1980er Jahre einen hohen Aufwand für ein bürgerfreundliches Beschwerdewesen. Dies hat letztlich eine neue Fehlerkultur etabliert, die zu mehr Vertrauen in Verwaltung und Politik geführt hat. Vor diesem Hintergrund sollte auch das aus den 1990er Jahren stammende sächsische Beschwerderecht weiterentwickelt werden“, so das Fazit von Jörg Vieweg, Obmann der SPD-Fraktion im Petitionsausschuss des Landtages.

von Juliane Pfeil-Zabel, Harald Baumann-Hasske, Robert Kluge und Jörg Vieweg