Der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie ist derzeit in aller Munde. Gelegentlich hat man dabei den Eindruck, es handele sich um ein gänzlich neues Thema. Selbst Ministerpräsident Kretzschmar, in der Vergangenheit stehts als Bremser der Energie wende bekannt, spricht sich heute für mehr Windenergie, sogar über Waldflächen, aus.
Für mich bedeutet die Energiewende aber mehr als nur schöne Sonntagsreden. Als Fachmann für Windenergie sprach ich mit der Redaktion von „DAS KOMMUNALFORUM – Zeitschrift für progressive Lokalpolitik“.
Hallo Jörg, Du bist seit Jahren ein Verfechter alternativen Energien. Warum ist Dein Engagement auch zu Deinem Beruf geworden?
Das Interesse für regenerative Energien begann während meiner Lehrzeit. Damals Anfang der 1990er Jahre war das aber noch eine rein technische Faszination als Bastler und Modelbauer, also eher auf dem Niveau von „Jugend forscht“, übrigens eine großartige Initiative, die seit Jahrzehnten Jugendliche mit Ideen für mehr Nachhaltigkeit fördert und unterstützt. Mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verband sich bei mir aber auch immer das Bedürfnis etwas sozial Sinnvolles zu tun.
Die Energiefrage ist dabei für mich eine soziale Frage. Den ohne Energie geht nichts. Die soziale Frage dabei ist: Welche Energie wird eingesetzt?
Denn nur durch den Einsatz von regenerativen Energien ist es möglich das viele Menschen profitieren und nicht nur wenige. Dieser Umstieg weg von fossiler hin zu erneuerbarer Energieerzeugung macht unabhängig von Konzern- und Kapitalinteressen und, wie wir gerade schmerzhaft durch den Ukraine Krieg erleben, auch von geopolitischen Interessen.
Besonders dramatisch ist die Energiesituation dabei in den Ländern des globalen Südens. Armut drückt sich dort oft in Energiearmut aus und führt zu einer Verfestigung von Unterdrückung und Ausbeutung. Gerade für die Bekämpfung von Armut in den Ländern des globalen Südens ist darum die Erzeugung von Energie aus Wind und Sonne entscheidend.
Der Ausbau von Wind- und Sonnenergie hilft also dabei den Unterschied zwischen Arm und Reich abzubauen. Mit meinem beruflichen Engagement möchte ich dafür einen kleinen Beitrag leisten, insoweit bin ich also ein Überzeugungstäter.
Wie schätzt Du den Ausbau der unterschiedlichen erneuerbaren Energien ein?
Ich möchte das gern am Beispiel der Windenergie deutlich machen. Sachsen gilt als Wiege der Windenergie in Deutschland. Mit den ersten Ausgründungen aus der TU-Bergakademie Freiberg entstanden hier zu Beginn der 1990er Jahre auch erste Projektentwickler. Die damaligen Pioniere der Branche sind heute zu mittelständische Unternehmen mit über 6.000 Beschäftigten gewachsen.
Ende 2021 waren in den drei mitteldeutschen Bundesländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen insgesamt 4.584 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 8.320 MW am Netz. Spitzenreiter ist hier Sachsen-Anhalt mit 2.845 Anlagen, gefolgt von Thüringen mit 871 und Sachsen mit 868. Beim Vergleich des Anteils an der Bruttostromerzeugung liegt Sachsen-Anhalt mit ca. 61,5% auf Platz eins. Gefolgt auch hier von Thüringen mit 39,5% und Sachsen mit 25,2% auf Platz drei.
Noch deutlicher wird der Unterscheid vor dem Hintergrund der notwendigen Klimaneutralität Deutschlands bis zum Jahr 2045. Der dafür erforderliche Ausbau erneuerbarer Energien auf deutschlandweit 65% bis zum Jahr 2030, ist in Sachsen-Anhalt mit 58,1% fast erreicht. Thüringen liegt mit knapp 40% auf einem guten Weg. Sachsen liegt auch in diesem Vergleich mit 25,2% auf Platz drei.
Um den Rückstand aufzuholen hat Sachsen im Jahr 2021 ein neues Energie- und Klimaprogramm beschlossen. Mit diesem sollen die Voraussetzungen für zusätzlich 4 Terrawattstunden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in nur drei Jahren erreicht werden. Dies entspricht einem Zubau von ca. 200 neuen Anlagen bis zum Jahr 2024.
Sachsen steht also vor einer gewaltigen infrastrukturellen Aufgabe. Für mich ist diese Aufgabe vergleichbar mit den wirtschaftlichen Herausforderungen nach 1990.
Wo siehst Du die Ursachen, dass der Windkraftausbau – speziell in Sachsen – fast zum Erliegen gekommen ist?
Grundsätzlich glaube ich, dass der Ausbau von Windenergie von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in Sachsen mitgetragen wird. Das bestätigt auch die jüngste Umfrage von Innofact im Auftrag der sächsischen Staatsregierung.
Trotz dieser hohen Akzeptanz kommt es aber mit fortschreitendem Neubau von Anlagen vermehrt zu Akzeptanzproblemen bei Anwohnern in der Nähe der Anlagen. Gerade nach Bekanntwerden eines Vorhabens bilden sich Anwohner eine Meinung. Meist auf Grundlage unsicherer Informationen, da die Flächensicherung gerade erst begonnen hat und die Projektplanung noch nicht abgeschlossen ist. Verstärkt wird dies noch durch meist über Jahre andauernde Genehmigungszeiträume. In dieser Zeit prägt sich die öffentliche Wahrnehmung und es entsteht eine Art Eigendynamik, die zu Konflikten führt. In Folge gründen sich meist Bürgerinitiativen, die ihre Meinung oft auf Basis von unzureichenden oder gar falschen Informationen artikulieren.
Oft übernehmen Gemeinderäte, Bürgermeister und sogar Landräte diese Argumentationsmuster. Dies ist eine Ursache, warum sich die regionalen Planungsgemeinschaften, beispielsweise in der Region Chemnitz/ Südwestsachsen, seit Jahren auf keinen Regionalplan-Wind einigen können. Somit stehen auch keine ausreichenden Flächen für die Windenergie zur Verfügung.
Welche Ansätze siehst Du, einerseits im Allgemeinen für regenerative Energien, andererseits im Speziellen für Windkraft, dass Kommunen die Energiewende voranbringen können?
Regenerative dezentrale Energieerzeugung aus Wind, Solar, Biogas und Wasserkraft in den Kommunen ist einerseits Grundlage für eine sichere Energiebereitstellung, weil sie vor Ort erzeugt wird. Andererseits ist sie aber auch Basis zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklung, weil Unternehmen ihre Standortentscheidungen und Standortentwicklungen von der ausreichenden Verfügbarkeit erneuerbarer Energien abhängig machen. Die Frage der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien war beispielsweise ein wesentliches Kriterium für die Standortentscheidung von Intel für Magdeburg in Sachsen-Anhalt und damit gegen Dresden in Sachsen. Im Umkehrschluss heißt das, dass Kommunen, die den Ausbau der Windenergie forcieren und dafür Flächen ausweisen, zukünftig die Gewinner sein werden.
Darüber hinaus sollte die seit Juli 2021 neu geschaffene gesetzliche Möglichkeit, auf rechtlich saubere Art und Weise mit bis zu 0,2 Cent je eingespeister Kilowattstunde vom Windenergie-Ausbau zu profitieren und somit zusätzlich jährlich 5- bis 6stellige Einnahmen zu erzielen, von keiner Gemeinde ausgeschlagen werden.
Zum Abschluss: Wie siehst Du die aktuelle Entwicklung bzgl. Wasserstoff? Können Kommunen unterstützend wirken, wenn ja, wie?
Die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Denn mittlerweile ist klar, Wasserstoff als Energieträger braucht zur Herstellung sehr viel Energie. Wenn diese Energie aus Kohle verstromt wird, qualmt es auch aus der Brennstoffzelle. Wer also mit Wasserstoff Klima und Umwelt schonen will, muss gleichzeitig ja zum massiven Ausbau regenerativer Energien sagen.
Nur mit Strom aus regenerativen Kraftquellen wird diese Technologie wirklich fliegen. Ohne stürzt sie ab!
Die beste Unterstützung für den Aufbau einer Wasserstoffwertschöpfungskette in den Kommunen, also beim ÖPNV, der Abfallentsorgung oder dezentraler Wärmenetze, ist ein klares Bekenntnis der Gemeinde zum Ausbau von Windenergie und die anschließende ausreichende Flächenausweisung. Ein gutes Beispiel ist hier die Stadt Chemnitz. Den Fraktionen von SPD, Die Linke/Die Partei und Bündnis 90/ Die Grünen ist es gelungen, den Stadtrat von der Notwendigkeit des Windenergieausbaus zu überzeugen, um so das Wasserstoffkompetenzzentrum der TU-Chemnitz zu unterstützen.
Dieses klare Bekenntnis des Chemnitzer Stadtrates Pro-Windkraft könnte eine Signalwirkung für ganz Südwestsachen sein.